Als vor einigen Wochen unserer Kühlschrank ausgefallen war, hat sich diese Kalamität rasch in der Nachbarschaft herumgesprochen und es fehlte nicht an Angeboten, unsere Tiefkühlware für die Zwischenzeit sicher unterzubringen. Ein Nachbar kam einfach vorbei, drückte uns seinen Hausschlüssel in die Hand und ließ uns wissen, er sei mit seiner Familie im Urlaub und wir mögen bitte seinen Kühlschrank nutzen.
Also schlurfte ich fortan für jeden Joghurt und jede Milch und zu jeder Tages- und Nachtzeit und irgendwann auch in jedem Outfit über die Strasse nach dem funktionierenden Kühlschrank hin.
Wir haben uns mit einer Flasche Wein für die Hilfe bedankt. Ich habe noch gedacht, eine Weinflasche oder lieber zwei? Aber dann hat e. gemeint, bei zwei Flaschen ist es vielleicht zu offensichtlich, dass wir keinen Wein trinken und sich die Geschenkflaschen hier stapeln.
Nun waren die Nachbarn letzte Woche wieder im Urlaub (Hawaii), ich habe die Post reingeholt und zum Dank gab es zwei (!) Flaschen Wein zurück.
Mir ist auch klar, dass niemand das Zeug mehr haben mag. Es ist aber auch niemandem geholfen, wenn wir uns die Bestände über die Strasse hinweg gegenseitig zuzuschieben. Ich glaube wir müssen nun schauen, wie wir das Thema wieder deeskalieren. Am Ende sind wir sonst in einer Situation, in der ein Mal zu freundlich gegrüsst, schon “zack” Weinflasche.
Das Silicon Valley ist vermutlich eine der modernsten und fortschrittlichsten Gegenden dieser Welt. Aber die gesellschaftlichen Normen halten mit der rasenden Entwicklung nicht Schritt. Sonst würden wir schon lange Gutscheine für den Google App Store verschenken und nicht Fusel in verkorkten Flaschen. Das ist echt so 2011!
Vielleicht solltet Ihr statt Wein auf gute (europäische) Schokolade zurückgreifen. Wenn dann zwei zurückkommen, sind die schnell aufgegessen und bei den Preisen für Milka, Ritter Sport und Co bei Euch, habt Ihr auch noch ein gutes Geschäft gemacht.
Lustig, wie sich dies- und jenseits des großen Ozeans die zwischenmenschlichen Höflichkeitsbekundungen so entwickeln.
Dabei fing alles so einfach an. Mit Glasperlen.
Ging es doch anfangs eher um die Frage, ob der weiße Siedler mit seinem Planwagen durch den Vorgarten der Rothaut karjohlen durfte und dies zunächst dann mit netten Geschenken, wie eben jene genannten Glasperlen, später Feuerwasser oder auch Feuerwaffen erwirkte, so ist es doch heute ein immer peinlicher werdendes Ritual in der Gesamtgesellschaft geworden.
Wer bitte hat nicht ein Häuflein solch verkorkster Geschenke zu Hause herumliegen. Wein ist da noch der Klassiker, dem der Zumindest-ein-bisschen-Weintrinker noch mit öffentlicher Bekundung der genehmen Sorte im Freundeskreis etwas Nutzen abringen kann. Schwieriger wird es dann bei “Geschenken die von Herzen kommen”, wie der selbst geklöppelte Kissenbezug, mit Liebe ausgesuchte Batikprodukte oder ganz schlimm: Bücher.
Während man dem Schenkenden bei simplen Gegenständen noch ein Danke-Foto mit dem drauf drapierten nutzlosen Zeug zukommen lassen , damit es dann in der Entsorgung verschwinden kann, wird man bei geschenkten Büchern auf Jahre mit der Frage belästigt, wie gut einem denn jenes Machwerk nun gefallen habe.
Und anstatt mit der Wahrheit (“Ich hasse Rosamunde Pilcher”) lavieren wir uns ebenso lange mit einem “Hab ich noch nicht gelesen” über “Ist das nächste Buch das ich anfange” zum “Ich muss es verlegt haben” von einer peinlichen Situation zur nächsten.
Ich denke die Gesellschaft ist reif für einen neue neue Geschäftsidee: Den des Ghostreaders.
Wer meldet sich freiwillig? Diana Gibaldon, Rosamunde Pilcher und diverse ungelesene Literaturpreise warten auf Verwertung. Je Inhaltsangabe zahle ich fünf Euro.