Vor einiger Zeit hatte ich berichtet von unseren Freunden, die aus der Bay Area weg- und nach Kanada weiterzogen. Seitdem hatte ich auf meiner Wetter-App immer auch die Stadt Calgary in der Anzeige. Und da stand dann vor einigen Wochen: Temperatur -19 Grad, fühlt sich an wie -29 Grad. Gibt es einen Unterschied zwischen -19 und -29 Grad? Nun, “ohja!” habe ich mir erläutern lassen, -19 Grad ist saukalt, aber bei -29 friert alles sofort durch, wird schwarz und fällt ab.
Jedes Skypetelefonat mit den beiden hat uns daran erinnert, wie mild das Wetter hier ist. Es gibt ja nichts, was man nicht mit der Zeit vergisst: “Mild?!? Wir haben hier auch Temperaturen unter 15 Grad oder über 27 Grad. Eine Zumutung ist das!” Ja, genau, und deswegen bin ich auch ‘in the market‘ für Hausschuhe mit Lammfellinnenfutter. Sooo! Kuschlig!
Jedenfalls kommen die beiden im April wieder zurück und das sind großartige Nachrichten. Fast zwei Jahre waren sie dann weg und das ist beachtlich. Wir haben seinerzeit nur 18 Monate geschafft.
Ich will ja jetzt nicht wild Rumspekulieren, aber da ich selbst mal Gelegenheit hatte das Landesinnere von Kanada einem ausgiebigen Besuch zu unterziehen hier mal meine Vermutungen für die wirklichen Gründe der Rückkehr:
1. Verwechslungsgefahr
Betritt man in Kanadas Weiten (oder auch Nahem) einen Wald, bietet sich folgender erster Eindruck: Dichter Baumbestand, urtümlich gesprossen, wunderschöne Landschaft, meist ein Waldsee in der Nähe, duftende Natur, bis….. man einer haarigen Gestalt begegnet. Und diese Begegnungen verunsichern den zivilisationsverwöhnten Kalifornier/Europäer zutiefst: Es ist schlicht nicht herauszubekommen, ob man in diesem Moment einem ausgewachsenen Grizzly oder einem kanadischem Holzfäller gegenübersteht. Sie geben in etwa gleiche Laute von sich und auch der Haaranteil ist in etwa gleich. Somit ist das Fehlverhalten vorprogrammiert: Entweder erschießt man den Holzfäller oder sagt dem Bären lachend guten Tag. Beides geht nicht gut aus.
2. Abgeschnitten sein
Wer in Kanada unterwegs gewesen ist, also “weg” ist, ist wirklich weg. Weg von allem. Da ist nichts außer zuvor genannte Bäume, Waldseen, Berge und Natur. Das ist im ersten Moment schön, verführt es doch zum Seele Baumeln lassen, aber spätestens wenn der Smartphone-Akku alle bzw. der Handyempfang verloren ist, ist auch der gemeine Kalifornier/Europäer “lost”.
3. Verirrung und Verwirrung
Je nachdem in welchem Teil Kanadas man sich verläuft (und das wird man), schlägt die Freude beim Begegnen eines echten Menschen schnell ins Gegenteil um. Denn dieser Mensch wird dich nicht verstehen, er spricht entweder
– Inuktut (man hat sich in der Arktis verlaufen)
– Französisch (man hat sich in Quebec verlaufen)
– Grizzly-bärisch (man hat sich woanders verlaufen)
Die Chance in der Wildnis einem ebenfalls verirrten Angehörigen einer Zivilisation zu begegnen ist extrem klein. Und außerdem nützt es nichts, der ist ja auch verirrt.
Wer bitte will da nicht nach Hause?